Die Orgelbauwerkstatt Kalscheuer in Nörvenich

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner Diplomarbeit, die sich mit dem Leben und Werk der Gebrüder Kalscheuer befasst, die im 19. Jahrhundert eine Orgelbauwerkstatt in Nörvenich bei Düren betrieben. Aufgeführt ist der biografische Teil und eine chronogische Werkliste. Informationen zu einzelnen Instrumenten stelle ich auf Anfrage gerne zur Verfügung. Wenn Sie Informationen aus meinem Text verwenden, bitte ich um einen Quellenverweis.

Die Informationen über die Nörvenicher Orgelbauer sind spärlich. Da die Werkstatt klein war und wohl mit eher bescheidenem Anspruch arbeitete, fanden die Arbeiten in der Fachpresse wenig Beachtung. Darin unterscheidet sich die Werkstatt Kalscheuer wesentlich von aktiven und fortschrittlichen Orgelbauern wie Sonreck. Ebenso fehlen persönliche Dokumente und Firmenunterlagen.

Die Familie Kalscheuer ist in Nörvenich ab ca. 1760 nachweisbar. Großvater der beiden Orgelbauer war der „Ackerer Jacob Kalscheuer. Aus der Ehe mit Anna Sophia Luckenbach ging als Sohn Hubert Kalscheuer hervor (* 18.8.1786 in Nörvenich, † 14.9.1843 in Nörvenich). Hubert Kalscheuer übte das Handwerk des Blaufärbers aus, das damals im Aussterben begriffen war. Über England eingeführtes Indigo machte das traditionelle Handwerk überflüssig. Durch die Kontinentalsperre Napoleons blühte die Kunst des Blaufärbers kurzzeitig wieder auf. Hubert Kalscheuer hatte mit seiner Frau Maria Katharina (geb. Wankum, * in Capellen, Datum unbekannt, † 4.4.1848 in Nörvenich) zwei Söhne: Jacob und Heinrich, die die Orgelbauwerkstatt betrieben.

Jacob Kalscheuer (* 21.11.1822 in Nörvenich, † 22.4.1883 ebda.) scheint der aktivere der beiden Brüder gewesen zu sein. Fast immer wird er genannt, wenn von dem „Orgelbauer Kalscheuer die Rede ist. Erhaltene Verträge und Dokumente tragen seine Unterschrift. Mit seinem Tod scheint die Firma erloschen zu sein (s. Einzelartikel Köln-Ehrenfeld). Jacob Kalscheuer blieb ledig.

Heinrich Kalscheuer (* 16.6. 1824 in Nörvenich, † 12.4.1885 ebda.) wird so gut wie nie erwähnt. Es erscheint fraglich, ob er ausgebildeter Orgelbauer war, vielleicht lernte er bei seinem Bruder oder absolvierte eine Lehre als Schreiner. Belege darüber fehlen gänzlich. Im Folgenden ist der Einfachheit halber von „Kalscheuer die Rede, da die Geschäftsführung wohl in den Händen Jakob Kalscheuers lag. Heinrich Kalscheuer heiratete 1865 Maria Therese Henk (* 2.2.1838 in Desdorf, † 22.12.1900 in Nörvenich). Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor (Sophia *1865, Anna Maria 1868-72, Maria Catharina Caecilia *1873 und Wilhelm *1875).

Den ersten Beleg für eine Tätigkeit der Gebrüder Kalscheuer liefert ein Schriftwechsel, der die amtliche Arbeitsgenehmigung betrifft. Der Orgelbauer Meurer aus Lechenich beschwert sich im Juni 1846 über drei Orgelbauer, die im Kreis Euskirchen ohne Genehmigung arbeiten, einer davon ist Kalscheuer. Soweit aus dem umfangreichen Schriftwechsel, der mit zahlreichen Marginalvermerken versehen ist, zu erkennen ist, hatte sich Kalscheuer schon im Frühjahr 1846 um die Arbeitsgenehmigung bemüht und zunächst keine positive Antwort erhalten. Im Landrat des Kreises Düren findet Kalscheuer einen Fürsprecher. Ein Schreiben des Landrates vom 17.3.1846 belegt, dass Kalscheuer bei Maaß in Köln gelernt hat, weiterhin heisst es: „Ich kann dieses Gesuch nur befürworten denn nicht allein ist der Kallscheuer für dieses Fach mit ausgezeichnetem Talent ausgestattet, sondern seine gebauten Orgeln sollen in der Zusammenstellung der Züge und der wichtigen Intonierung derselben sich besonders auszeichnen sowie in akustischer Beziehung nichts zu wünschen übrig lassen. Dazu kommt noch der wesentliche Umstand, daß der Kallscheuer bei seinem Fleiße, und seiner einfachen Lebensart auf dem Lande jede Orgel ein paar hundert Taler billiger liefert und liefern kann, als diese von anderen Meistern gefertigt werden. Weiterhin verweist der Landrat auf den Mangel an Orgelbauern in der Umgebung. Offenbar reicht der Behörde diese Einschätzung nicht, und man verlangt von Kalscheuer ein Zeugnis seines Lehrmeisters Maaß. Kalscheuer anwortet darauf am 7.7.1846: „...soll ich ein Zeugnis des Orgelbauers Maaß aus Köln beibringen. Ich war persönlich bei demselben, er will mir jedoch das verlangte Zeugnis deshalb nicht ausstellen [?], weil ich die Orgeln zu billig fertige. Ich kann nur Neid darin erblicken und glaube daß der Maaß [...] mir und meinem künftigen Fortkommen nur hinderlich sein würde. Stattdessen reicht Kalscheuer ein Gutachten des Aachener Domorganisten Zimmers ein: „Unterzeichneter Domorganist hat auf Verlangen des Orgelbauers Jakob Kallscheuren zu Noervenich zwei von demselben gebauten Orgeln, wovon die eine in der Kirche zu Manheim, Reg. Bezirk Köln und die andere in seinem Wohnorte Noervenich aufgestellt ist, sorgfältig untersucht u. dieselben sowohl rücksichtlich ihrer kunstgemäßen technischen Ausführung als deren Schönheit und Solidität der Arbeit sehr gut und preiswürdig befunden, so daß ich Herrn Kallscheuren das Zeugnis eines ebenso geschickten als reellen Künstlers erteilen kann. Auch zeichnet sich derselbe im Vergleich zu anderen Orgelbauern durch besondere Billigkeit bei seinen Arbeiten aus. Aachen, den 28. Juni 1846.
Somit wäre belegt, dass Kalscheuer die Arbeit als Orgelbauer früher aufnahm als bisher angenommen. Außerdem enthält das Aktenstück den einzigen Hinweis auf seine Ausbildung. Im Kölner Adressbuch von 1844 ist allerdings weder Jakob noch Heinrich Kalscheuer zu finden. Es besteht aber die Möglichkeit, dass einer oder beide bei Maaß oder bei Verwandten gewohnt haben (es gibt mehrere Einträge des Namens Kallscheuer).

Die Werkstatt befand sich in Nörvenich in der Zülpicher Straße 28/30.
Über die Arbeitsweise ist nichts bekannt. Denkbar ist, dass die Gebrüder Kalscheuer einzelne Teile oder Pfeifen von Zulieferfirmen bezogen, wie es für andere kleine Orgelbaufirmen des 19. Jahrhunderts auch angenommen werden kann. Verbreitet war auch die Praxis, das Orgelgehäuse vom ortsansässigen Schreiner herstellen zu lassen.
Über Mitarbeiter in Firma liegen ebenfalls keine Informationen vor. Herr Klaus Lieck berichtet, sein Großvater sei Lehrer und Organist in Hochkirchen und Müddersheim gewesen und habe bei Kalscheuer das Orgelbauerhandwerk gelernt. Später habe er nach seinem Umzug nach Kornelimünster noch vereinzelt Wartungsarbeiten durchgeführt. Demnach bildete Kalscheuer zumindest zeitweise Lehrlinge aus.

Das Interesse der Presse war gering, im Gregoriusblatt finden sich einzelne Abnahmeberichte von Heinrich Böckeler, dem Aachener Domkapellmeister. 1852 bietet Kalscheuer eine Orgel zum Verkauf an: „Eine Kirchenorgel mit 9 Registern, stark und lieblich von Ton, steht billig zu verkaufen in Nörvenich bei Düren bei Kalscheuer, Orgelbauer.

Die Zeitschrift für Instrumentenbau meldet recht verspätet, dass die Firma erloschen ist.
Einen Nachfolgebetrieb in Nörvenich gab es nicht. In Hochkirchen scheint H. Dauzenberg aus Linnich die Wartung übernommen zu haben, das letzte unvollendete Werk in Köln-Ehrenfeld wurde von J. Schaeben aus Köln vollendet.
               
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Werkliste

vor 1846 Nörvenich
vor 1846 Manheim
1849 Düren (ev. Kirche)
ca. 1850 Niederberg (erhalten)
1853 Schevenhütte (Reste erhalten)
1855/56 Gladbach (erhalten, zum Verkauf)
1856 Hochkirchen (erhalten)
1857 Adendorf (Umbau, möglicherweise schon 1852 Aufstellung der Orgel)
1858 Scheiderhöhe
1858 Venwegen
1859 Eschweiler ü. F.
ca. 1860 Aachen, St. Alexius
1860 Aachen, Kloster „Zum guten Hirten
1861 Pingsheim (erhalten)
ca. 1864 Ründeroth (erst 1866 eingeweiht, erhalten)
1864 Brühl
1864 Arnoldsweiler
1865 Bliesheim
1866 Vochem (erhalten, jetzt in Zülpich-Merzenich)
1866 Müddersheim (erhalten)
1867 Venwegen (Erweiterung)
1868 Mödrath
1871 Füssenich (Erweiterung, Reste erhalten)
1871 Oberkassel
1871 Bessenich (erhalten)
1875 Plittersdorf
1875 Kendenich
1875 Immekeppel
1877 Kerpen (Stift, Umbau der König-Orgel)
1878 Graurheindorf
1879 Lechenich (Pfeifenwerk größtenteils erhalten)
1881 Heerdt (Erweiterung der Sonreck-Orgel)
1882 Alfter
1882 Ehrenfeld (nicht vollendet)

nicht datiert:
Frauenthal (erhalten)
Worringen

Zuschreibungen:
Ramsbeck
Rövenich
Ginnick (sicher nicht von Kalscheuer)

Quelle: Axel Wilberg:  http://www.axelwilberg.homepage.t-online.de/6.htm